Seid ehrlich: Hattet ihr den Namen Božena Němcová schon einmal gehört? Wenn ja, wusstet ihr, dass ihr Gesicht auf tschechischen Briefmarken, Banknoten und Münzen zu finden ist? Dass es ein Museum und ein Theater mit ihrem Namen gibt? Sie gilt als bedeutendste Schriftstellerin Tschechiens und eines ihrer Werke kennt ihr bestimmt: O Popelce, Über Aschenputtel, das die Basis für den Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ bildet.
Das Leben von Božena Němcová
Auf den erwähnten staatlichen Gegenständen steht überall der Name Božena Němcová, geboren wurden sie allerdings als Barbara – in einem Artikel ist auch von Beatrix die Rede – und gelegentlich heißt es, dass sie als Kind Barunka genannt wurde. Božena sei ein Pseudonym, das sie sich später zugelegt habe. Der Nachname Němcová ist wohl verbürgt, weil sie 1837 einen Josef Němec geheiratet hat und aus dem Namen des Mannes im Tschechischen der Name der Ehefrau bildet. Fast ist der Name zusammen mit den Daten ihrer Kinder, ihrem literarischen Werk und den Briefen, die sie geschrieben, das Einzige, was über sie gesichert bekannt ist. Schon beim Geburtsdatum, dem 4. Februar 1820, sind sich die Biograf:innen nicht sicher. Dieses Datum steht in den Unterlagen für die Hochzeit, weil ihre Taufe am 5. Februar 1820 nachgewiesen ist und man errechnet hat, dass sie dann wohl am Tag davor geboren wurde. Allerdings ranken sich um ihre Geburt und ihre Eltern einige Geschichten, mal heißt es, ihre Mutter Theresia Nowotny habe ihren vermeintlichen Vater Johann Pankl kennengelernt und geheiratet, als sie schon schwanger war. Dann wird gemutmaßt, dass Barbara-Božena adoptiert war, verschiedene Adelige sind als Mütter oder Väter im Gespräch, bis hin zum Zaren. Auf Boženas Leben hatte das wenig Auswirkung, sie wuchs in einfachen Verhältnissen auf, da ihre offiziellen Eltern jedoch im Umfeld adeliger Familien gearbeitet haben, hat sie eine gute Bildung genossen. Sie hat – für damalige Verhältnisse schon erstaunlich – von 1824 bis 1830 eine Grundschule besucht und wurde danach in der Familie eines Schlossverwalters erzogen, wo sie neben Manieren und Klavierspielen auch ihre Deutschkenntnisse verbesserte. Zwar wurde in ihrer Familie Deutsch gesprochen, allerdings hat sie viel Zeit bei ihrer Großmutter verbracht, die Tschechisch mit ihr sprach – ie soll dort sogar zeitweise gelebt haben, auch das wird bei der Lektüre der deutschsprachigen Informationen nicht ganz klar. Dieser Wechsel von Lebensmittelpunkten zieht sich durch das weitere Leben der Schriftstellerin. Die Hochzeit als 17-Jährige, die von der Mutter eingefädelt wurde, brachte nicht etwa Ruhe in das Leben, sondern noch mehr Unruhe. Mit ihrem Ehemann zog sie wiederholt um, was auch daran deutlich wird, dass ihre vier Kinder alle an unterschiedlichen Orten geboren wurden. Kein Wunder, dass Božena Němcová begann, sich für Bräuche, Sagen und Märchen der Regionen zu interessieren, zumal ihre Großmutter sie früh mit den überlieferten Gepflogenheiten vertraut gemacht hatte.
Das Werk von Božena Němcová
Sowohl ihre Großmutter als auch Bräuche und Märchen waren es dann auch, die ihr zum Durchbruch als Schriftstellerin verhalten. Vor allem ihr Hauptwerk aus dem Jahr 1955, „Die Großmutter“ („Babicka“), das über 350 Auflagen erreichte und in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde, hat ihr den Status einer Nationaldichterin eingebracht. Hier erzählt sie – autobiografisch geprägt – ihre Kindheit in Tschechien und bindet dabei, inspiriert von der Schriftstellerin Karolina Světlá, Traditionen aus der Region in die Geschichte ein. Diesem Roman gingen Veröffentlichungen von Märchen und Erzählungen voraus, mit denen sie von 1842 bis 1845 auch versuchte, zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Eines dieser Märchen war „O Popelce“ auf Deutsch „Über Aschenputtel“. Man kann davon ausgehen, dass sie das Märchen „Aschenputtel“ kannte, da sie mit der deutschen Sprache aufgewachsen ist und schon immer viel gelesen hat. In ihrer Fassung, die hier als Übersetzung nachzulesen ist, tauchen im Gegensatz zur Grimmschen Version die drei Haselnüsse auf, die nicht – wie im Film – der Kutscher mitbringt, sondern der Vater, der zu einer Reise aufbricht. Während die Stiefschwestern sich Edelsteine wünschen, bittet Aschenputtel darum – wie im Film – das mitzubringen, was dem Vater vor die Füße fällt.
Ein steiniger Weg zur Nationaldichterin
Der Lebensweg von Božena Němcová bleibt bis zu ihrem Lebensende abenteuerlich und von Widersprüchen durchzogen. Ihr Interesse an der überlieferten Volksliteratur und ihre Kontakte in die tschechische Nationalbewegung führten dazu, dass die Beamten des Königs sie kritisch im Blick behielten. Es heißt sogar, dass ihr Mann seine Stelle wegen ihres Engagements verlor. Dass das der von der Mutter initiierten Ehe nicht förderlich war, ist nachvollziehbar. Als Josef Němec nach Ungarn versetzt wurde, weigerte sich seine Frau, ihn zu begleiten. Sie zog mit ihren Kindern nach Prag, wo sie sich Jahre zuvor so wohl gefühlt und Kontakte in die Kulturszene geknüpft hatte. Zwar versuchte das Ehepaar immer wieder, sich anzunähern, aber die Vorstellungen vom Leben und von der Zukunft der Kinder entzweite sie. Als sie jedoch am 21. Januar 1862 starb, war sie arm und einsam, weil ihr eigenständiges Leben als Ehefrau von der bürgerlichen Gesellschaft abgelehnt wurde. Umso erstaunlicher ist es, dass ihr Begräbnis als das einer Fürstin beschrieben wird. Sie wurde im Beisein vieler Menschen auf dem Ehrenfriedhof in Prag beigesetzt. Anscheinend war es – wieder so ein Widerspruch in ihrem Leben – das eine, eine Frau, die sich nicht von einem Ehemann dominieren lässt, zu unterstützen und das andere, eben diese Frau als Nationaldichterin zu ehren. In den Artikeln über Božena Němcová wird sie als bedeutendste Schriftstellerin Tschechiens beschrieben, was dadurch bestätigt wird, dass es ein Museum gibt, in dem man sich über ihr Leben informieren kann, und ihr Gesicht auf mehreren Briefmarken, einer Banknote und einer Münze zu sehen ist. Dennoch war mir der Name gänzlich unbekannt, eine für mich vergessene Frau, die ich gerne aus der Vergessenheit hole. © 2025 Dr. Birgit Ebbert www.vergessene-frauen.de
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Czech Radio (Text auf Deutsch)
Das Titelfoto ist eine von mir erstellte Collage, das erste Foto ist ein Gemälde von Josef Hellich (1807-1880) und das dritte Bild eine Daguerrotypie, beide habe ich von Wikipedia übernommen. Das zweite Bild von Josef Voleský (1885-1932) stammt aus wikicommons.