Elisabeth Selbert (1896-1986) – Anwältin der Gleichberechtigung

Ich gebe zu, bis ich anfing, mich mit einflussreichen Frauen in der Geschichte zu beschäftigen, kannte ich Elisabeth Selbert nicht – und das kann durchaus daran liegen, dass sie sich für die Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt hat und dafür von den Männern bestraft wurde. Ich habe ihr daher eine meiner „Zeitenlese“-Geschichten gewidmet, aber da verrate ich auf den Projektseite nichts zu ihrem Leben, die Seite soll ja neugierig machen 😊 Aber für mich hat sie zwingend einen Beitrag in meinem Blog vergessener Frauen verdient.

Das Leben von Elisabeth Selbert

Elisabeth Selbert wurde 1896 als Tochter eines Gefängniswärters in Kassel geboren, das hieß, ihre Eltern konnten es sich nicht leisten, sie auf das Mädchengymnasium zu schicken. Stattdessen lernte sie in der Volksschulzeit zu Hause die typisch weiblichen Fertigkeiten: Sticken, Stricken, Nähen – für das Lesen blieb wenig Zeit. Dabei wäre sie gerne Lehrerin geworden. Immerhin konnte sie ihre Eltern überreden, die Gewerbe- und Handelsschule des Frauenbildungsvereins zu besuchen, mehr als manch anderen Mädchen erlaubt wurde. Sie arbeitete zunächst als Fremdsprachenkorrespondentin und als die Stelle Anfang des Krieges wegfiel, ging sie als Postbeamtenanwärterin zur Reichspost und war im Telegrafendienst tätig. 1918 lernte sie Adam Selbert, ihren späteren Ehemann kennen, der in einem kleinen Ort bei Kassel den Arbeiter- und Soldatenrat leitete. Er weckte ihr Interesse an der Politik, sodass sie Ende 1918 in die SPD eintrat. Je mehr sie sich mit Politik beschäftigte, umso deutlicher wurden ihr die Wissenslücken. Also entschied sie zusammen mit ihrem Mann, dass sie das Abitur nachholte, was 1925 als externe Kandidatin an der Luisenschule in Kassel gelang, und studieren würde. Da hatte sie bereits zwei Kinder, doch das hielt sie nicht davon ab, ihr Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in sechs Semestern zu meistern und 1930 mit einer Promotion abzuschließen. Dann kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Adam Selbert verlor seine Stelle, da er politisch unzuverlässig sei, und die beruflichen Chancen für Elisabeth standen ebenfalls schlecht. An eine Karriere als SPD-Politikerin war nicht zu denken und die Nationalsozialisten arbeiteten bereits daran, Frauen generell die Zulassung als Anwältinnen zu verbieten. Kurz bevor das Verbot in Kraft trat, gelang es Elisabeth Selbert – trotz Gegenwind von der Anwaltskammer und dem Oberlandesgerichtspräsidenten, einem überzeugten Parteimitglied, trotz Widerspruch des Gauleiters und des gleichgeschalteten Juristenbundes – mit Unterstützung von zwei älteren Senatspräsidenten am 15. Dezember 1934 die Zulassung zu ergattern. Sie übernahm eine Kanzlei, die vorher jüdischen Rechtsanwälten gehört hatte und kämpfte fortan für Frauen, für Familien und für Mandanten, denen die Gestapo auf den Fersen war.

Elisabeth Selberts Sternstunde

Da Elisabeth Selbert während der NS-Zeit nicht mit der Partei paktiert hatte, konnte sie nach dem Zusammenbruch in ihrer Kanzlei weiterarbeiten und auch am Aufbau der SPD in ihrer Heimatstadt und Hessen mitwirken. Man sollte meinen, dass die Kollegen ihr das gedankt hätten. Weit gefehlt, als es darum ging, Delegierte in den Parlamentarischen Rat nach Bonn zu schicken, um am Grundgesetz mitzuwirken, sah man sich nur unter den Männern um. Erst auf Vorschlag des Landes Niedersachsen bekam Elisabeth Selbert einen Platz in dem Gremium. Dafür hat sie aber als eine der wenigen Delegierten eine tiefe Spur hinterlassen, von dir leider nur die wenigstens wissen. Die Vorlage für das Grundgesetz wurde von Verwaltungsbeamten auf der Basis der Weimarer Verfassung erstellt. Immerhin waren sie der Meinung, der Passus „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ könne bleiben. Doch Elisabeth Selbert reichte das nicht. Ihr schien die Gefahr zu groß, dass die Gleichberechtigung auf die Wahlen und andere öffentliche Vorkommnisse beschränkt würde. Sie wollte eine generelle Gleichberechtigung der Geschlechter. Männer sollten nicht mehr die Bestimmer sein, wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch seit 50 Jahren verankert war. Frauen sollten ebenbürtig und in der Ehe selbstbestimmt sein dürfen. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“, sollte es in dem Artikel nach ihrer Vorstellung heißen. Mehrmals wurde der Wunsch abgelehnt. Am Ende sorgte sie mit Pressewirbel und Vorträgen dafür, dass sich die Frauen an den Parlamentarischen Rat wandten und ihre Forderung unterstützten. Es hieß lange, die Eingaben seien wäschekörbeweise eingetroffen, das scheint nicht zu stimmen, im Archiv seien knapp 50 Briefe vermerkt. Allerdings stellten sich 40.000 Metallarbeiterinnen hinter sie, alle weiblichen Landtagsabgeordneten in den Westzonen – außer denen aus Bayern, Frauenverbände und – was ich völlig verrückt finde – die Frauen der hessischen Stadt Dörnigheim. Am 18. Januar 1949 wurde ihr Satz dann tatsächlich einstimmig in den Entwurf für das Grundgesetz aufgenommen und mit den anderen Artikeln am 8. Mai 1949 verabschiedet und am 23. Mai 1949 in einer Feierstunde unterzeichnet. Danach fing die Arbeit erst an, da die Gleichberechtigung nun Verfassungsrang hatte, mussten alle Gesetze geprüft werden – das war allerdings der Adenauer-Regierung nicht so wichtig. Sie ließen die gesetzlich verankerte Frist verstreichen und es dauerte noch fast 30 Jahre, bis – im Jahr 1977 – endlich auch Ehefrauen ohne Zustimmung ihres Mannes einen Arbeitsvertrag unterschreiben durften! Zu der Zeit begann sich die Frauenforschung langsam mit den Müttern des Grundgesetzes zu beschäftigen, vorher war es drei Jahrzehnte ruhig um Elisabeth Selbert. Sie starb am 9. Juni 1986 – ob das die Medien eine Meldung wert war, weiß ich nicht, aber sie war ja auch „nur“ die Mutter der gesetzlichen Gleichberichtigung und kein Glamour-Star ☹ © 2024 Dr. Birgit Ebbert www.vergessene-frauen.de www.birgit-ebbert.de

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